An die Europäische Union,

An die RegierungspräsidentInnen und AußenministerInnen der EU-Mitgliedsstaaten


Wir, die Einrichtungen der in Berlin lebenden KurdInnen, verfolgen mit größtem Interesse die politischen Veränderungen in Deutschland und in Kurdistan, unserer Heimat, die wir verlassen mussten. Die Erweiterung der EU, der größte politische Veränderungsprozess auf internationaler Ebene, hat auch für uns eine große Bedeutung. Bedingt durch die Tatsache, dass dieser Prozess die kurdischen MigrantInnen in Europa und das kurdische Volk innerhalb der Staatsgrenzen der Türkei unmittelbar betrifft, möchten wir unsere Meinung hierzu äußern.

 Dabei möchten wir darauf verzichten, auf Geschichte und Ursachen der jetzigen Situation unseres Volkes und Landes einzugehen. Jedoch müssen wir erwähnen, dass für das kurdische Volk das vergangene Jahrhundert einer der schwierigsten Abschnitte der Geschichte gewesen ist. Von seinem Beginn bis zum Ende war das 20. Jahrhundert für das kurdische Volk das Jahrhundert der Repressalien, der Unterdrückung und des Völkermordes.

 So ist es nur selbstverständlich, dass die Kurden diesen Unmenschlichkeiten im 21. Jahrhundert nicht mehr ausgeliefert sein möchten. Sie wollen und wünschen sich, dass dieses Jahrhundert die Ära des Friedens, der Gleichheit und Freiheit wird. Diese Werte sollten auch die Grundlagen sein, auf denen der Beitritt der Türkei in die EU vollzogen wird.

Wird die EU diesen Erwartungen gerecht werden können?

Im Lichte der bisherigen EU-Politik fällt es uns nicht nur schwer, optimistisch zu sein, sondern wir haben darüber hinaus verständliche Sorgen. Denn die EU vermeidet es weiterhin, gleich der Politik der Türkei, in ihren Dokumenten die Begriffe „das kurdische Volk“ und „die Kurden-Frage“ zu erwähnen. In den für alle Parteien verbindlichen Dokumenten der EU gibt es kaum konkrete Aussagen zum Kurdenproblem und zu den Schritten, die eingeleitet werden müssten, damit das kurdische Volke zu seinen Rechten gelangt.

 Auch aufgrund dieser politischen Haltung der EU hat sich für die Kurden seit dem 17. Dezember 2004 nichts verändert. Die Machthaber in der Türkei setzen weiterhin auf eine Unterdrückungs- und Assimiliationspolitik, anstatt die Rechte des kurdischen Volkes zu respektieren.

 Sehr geehrte Damen und Herren,

 Die Kurdenfrage ist keine Minderheitenfrage, sondern die Frage der Freiheit eines Volkes, das unter schwersten Repressalien leidet und dem seine elementarsten Rechte vorenthalten werden.

Das kurdische Volk möchte Niemandem unrecht tun. Es hat keinerlei Absicht, andere Länder zu entzweien. Es will nur die elementarsten Rechte zugesprochen bekommen, wie sie den anderen Völkern dieser Welt ebenso zustehen.

 Die Kopenhagener Kriterien reichen natürlich nicht, eine endgültige Lösung für die Kurdenfrage zu finden. Diese Feststellung jedoch soll nicht so verstanden werden, das wir auf diese Kriterien keinen Wert legen. Im Gegenteil, wir legen großen Wert darauf und erwarten von der EU, sich konsequent für ihre Umsetzung einzusetzen. Von den zuständigen Gremien der EU und den Regierungen der Mitgliedsstaaten fordern wir in diesem Rahmen:

 1. Die jetzige türkische Verfassung ist mit Demokratie und Pluralismus in keinster Weise vereinbar. Die Türkei benötigt eine neue und wirklich demokratische Verfassung. Die Türkei soll sich von jeglichen Tabus in der Kurden- und Armenierfrage befreien. Die neue Verfassung soll die rassistische Ideologie, dass jeder in diesem Lande ein Türke ist, nicht mehr beinhalten, die Existenz anderer Völker, nationaler Minderheiten, unterschiedlicher Religionsgemeinschaften anerkennen und deren Rechte nachhaltig gewährleisten.

2. Der Macht der Militärs in der Politik muss ein Ende bereitet werden,

 3. Es soll eine Generalamnestie erlassen werden und die Militäroperationen in den kurdischen Gebieten sollen beendet werden. Die Waffen sollen endlich schweigen, unabhängig davon, von welcher Seite sie angewendet werden.

 4. Folter, Misshandlungen und Selbstjustiz sollen mit sofortiger Wirkung eingestellt werden. Jedes Mitglied der Sicherheitskräfte, das solche Taten begeht, sollen seiner gerechten Strafe durch eine demokratische Justiz zugeführt werden.

 5. Die Rechte des kurdischen Volkes im sprachlichen und kulturellen Bereich sollen uneingeschränkt anerkannt und respektiert werden.

 6. Das türkische Bildungssystem ist antidemokratisch, rassistisch und chauvinistisch. Das Bildungssystem soll schnellstens eine demokratische Grundlage erhalten und das Recht auf Bildung in der Muttersprache anerkannt werden.

 7. Verbote, die die Meinungs- und Organisationsfreiheit behindern, sollen aufgehoben werden.

 8. Die aufgrund von Religion und Konfession bestehenden Benachteiligungen sollen beendet werden und die notwendigen Schritte eingeleitet werden, um Gleichheit auf allen Ebenen des Lebens zu gewährleisten.

 9. Die Probleme von Millionen von vertriebenen Kurden sollen gelöst, die Möglichkeiten für ihre Rückkehr gewährleistet werden, Entschädigungen müssen geleistet werden.

 10. Die Turkifizierung geographischer Bezeichnungen soll rückgängig gemacht werden.

 11. Rassistischen Parolen wie „Glücklich derjenige, der sagt, ich bin Türke!“, und „Ein Türke ist soviel Wert wie die ganze Welt!“ sollen verboten werden.

 12. Die Zahl der Polizisten und Soldaten in Kurdistan soll schnellstmöglichst verringert werden. Die militärischen Einheiten, die die kurdischen Städte belagern, sollen zurückgezogen werden, damit nicht der Eindruck einer Invasion entsteht. Die leeren Gebäude und Grundstücke, die diese Einheiten hinterlassen, sollen den vorherigen Besitzern oder den Städten oder Gemeinden zurückgegeben werden.

 13. In den EU-Ländern lebt mehr als eine Million Kurden. Die EU soll den Status von diesen MigrantInnen aus politischer, rechtlicher und kultureller Sicht überdenken. Die Kurden sollen offiziell als Minderheit anerkannt und in den entsprechenden Statistiken als Kurden erwähnt werden. Ihre Kultur und Sprache muss gefördert werden. 

In der Hoffnung, dass die EU das kurdische Volk  nicht vergisst.

 

Hochachtungsvoll

UnterzeichnerInnen

Das Institut für Sprache und Kultur der Kirmanc (Zaza) e.V.

Kurdisches Zentrum e.V.

Yekmal e.V.

Kurdistan Kultur- und Hilfsverein e.V.


Vertretung der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (DPKI) für diplomatische Beziehungen in  Deutschland, Österreich und Europäischem Parlament

Tel.: +43-1-967 24 95            Mobil: +43-6991-967 24 95              Fax: +43-1-967 24 95

 Presseerklärung

Wien, 25. Juli. 2005

Das Iranisch Regime und neue Gewaltwelle in Iranisch-Kurdistan  Am 9. Juli 2005 greifen Revolutionsgardisten in der kurdischen Stadt Mahabad eine Gruppe von kurdischen Jugendlichen an, wobei drei Personen verletzt wurden.  Ein schwer Verwundeter namens Kemal Esfarni (schiwane) wird festgenommen, wird barbarisch gefoltert (Bilder von Folter-Spurren liegen Vor) und schließlich ermordet. Seine durchsiebte Leiche, an ein Fahrzeug gebunden, wird zur Einschüchterung der Bevölkerung in den Straßen Mahabad zur Schau gestellt.  Aus Protest gegen dieses Verbrechen gingen in Mahabad und anderen kurdischen Städten zehntausende Menschen auf die Straße. Am 13. Juli 2005, den 16. Jahrestag des Terroranschlags auf Dr. Abdul Rahman Ghassemlou, den DPKI-Vorsitzenden, durch die Gesandte der Islamischen Republik in Wien am Verhandlungstisch weiten sich die Protestaktionen gegen das Regime massiv aus.Daraufhin stürmen Unterdrückungsorgane des Regimes die Häuser, misshandeln die Bewohner, plündern die Geschäfte und nehmen Massenverhaftungen vor. Das Regime hat Spezialeinheiten aus Mianduab, Urmia und Kerman nach Kurdistan verlegt. Trotz brutalen Vorgehens der Schlägertrupps dauern die Demonstrationen an. Berichten aus dem Iran zufolge sind zahlreiche Demonstranten verletzt und mehr als 200 Personen festgenommen worden, die brutal gefoltert werden. Zahlreiche kurdische und iranische Parteien und Organisationen sowie „der Kongress der iranischen Völker für einen föderalen Iran“ haben das Vorgehen der Islamischen Republik in Kurdistan verurteilt und demokratische Kräfte und Menschenrechtsorganisationen im Ausland aufgerufen, gegen die Unterdrückungspolitik des iranischen Regimes zu protestieren.

 

Repräsentantenbüro der DPKI für internationale Beziehungen

 

Die Islamische Republik verstärkt die Unterdrückung in  Iranisch-Kurdistan

 

Zwei Tote und zahlreiche Verletzte

 Heute Montag, den 25. Juli 2005, nehmen die Unterdrückungsorgane des Regimes in der Kurdenstadt Oshnovieh (Shino) die

 Demonstranten unter Beschuss, töten zwei Demonstranten namens Haider Abdullahzadeh und Omer Amini und verletzen zahlreiche

weitere Personen. Die friedlichen Demonstrationen fanden statt, um gegen die Festnahme von etwa 200 Personen in den Kurdenstädten

Mahabad, Piranshar und Mariwan und deren Folterung in den Gefängnissen sowie gegen die Plünderungen von Häusern und

Geschäften durch die Revolutionswächter zu protestieren. Während das Regime weitere Truppen nach Kurdistan verlegt, gehen die Protestaktionen in den Kurdistan weiter.

 

Repräsentantenbüro der DPKI für internationale Beziehungen

(Paris, 25.7.2005)

 


 

Die  Gesellschaft für bedrohte Völker

Zwei Mal Terror: Türkische Armee und PKK



Fast 60 Jahre lang haben türkisches Militär und amtierende Regierungen, von Beginn der 20er Jahre bis zur Entstehung der PKK Anfang der 80er, gnadenlos ihre kurdische Bevölkerung verfolgt. Es begann mit dem großen Vater der Türkei Atatürk. Zur Bekämpfung der westlichen Entente, zur Liquidierung oder Vertreibung eines Großteils der vertriebenen Armenier und Assyrer,
zur totalen Säuberung des großen griechischen Sprachgebietes an der Ägäis und im Pontos benötigte der türkische Führer die kämpferischen Kurden. Im Namen des Türken und Kurden vereinigenden Islam trieb er die ionischen Griechen ins Meer. Kaum waren
die äußeren Feinde und die christlichen Volksgruppen bezwungen oder zum Teil vernichtet, wandte Atatürk sich gegen die Kurden. Er und seine Nachfolger führten Massendeportationen von über einer Million kurdischer Kinder, Frauen und Männer durch und ermordeten Zehn- wahrscheinlich Hunderttausende.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging diese erbarmungslose Verfolgung weiter. Ganz Südostanatolien, Türkisch-Kurdistan, stand unter
militärischer Willkürherrschaft. Immer wieder wurde über einzelne oder alle Provinzen der Ausnahmezustand verhängt. Die Dorfbevölkerung wurde drangsaliert, Menschenrechtsverletzungen waren immer wieder alltäglich. Es wurde vergewaltigt, inhaftiert, gefoltert.
Gerichte setzten sich meistens über jede Rechtsstaatlichkeit hinweg. Die Kurden galten als Bergtürken. Die kurdische Sprache, Kultur und Identität wurde konsequent unterdrückt, Kurdische Parteien, Institutionen, Zeitungen oder Verlage blieben verboten.

Die Antwort auf die türkische Barbarei wurde die radikale PKK, eine Partei, die von Anfang an Terror nicht scheute. Vor allem nicht an der eigenen Bevölkerung. Aus dem Milieu türkischer und kurdischer Linksextremisten entstand die PKK unter autoritärer Führung eines Exstudenten Namens Öcalan. Einer weitgehend türkisierten Familie entstammend, lernte Öcalan zwar kurdisch, machte aber über Jahre das Türkische zur Verkehrs- und Schriftsprache seiner Bewegung. Anders als erfolgreiche Freiheitskämpfer wie der Fretilin in Osttimor, der südsudanesischen Widerstandsbewegung unter Garang oder der irakisch-kurdischen Befreiungsfront unter Mustafa Barzani, kämpfte Öcalan niemals in seiner Heimat.  Vielmehr richtete er seine Lager im Libanon unter der Obhut des syrischen Diktator Hafes el Assad ein, der seine heute zwei Millionen Kurden nicht viel weniger unterdrückte, wie die Regierenden in der Türkei. Als Verbeugung gegenüber seinem syrischen „Schirmherren“ leugnete Öcalan überhaupt die Existenz des kurdischen Sprachgebietes, die Existenz von Syrisch-Kurdistan insgesamt.

In vieler Hinsicht übertraf die politische Praxis Öcalans die diktatorische Härte Assads. Seine Partei organisierte er nach stalinistischen Prinzipien. Der große Führer regelte alles. Während er selbst kurdische Freiheitskämpferinnen missbrauchte, untersagte er seinen Partisanen sowohl die Ehe, als auch erotische Kontakte. Vielfach liquidierte er junge kurdische Kämpfer, die Dienst in seinen Lagern hatten. Vor allem jene, die ihm widersprachen. Öcalan beseitigte sein gesamtes erstes Politbüro. Er mordete von Schweden über Deutschland bis in den Libanon.

Öcalan überzog die kurdischen Gemeinschaften aus der Türkei im Exil und viele der kurdischen Städte der Türkei mit einem Netz von Kontrolle, Denunziation und Repressionen gegen Menschen, die sich nicht einordnen wollten. Während die türkische Armee, die
Sicherheitskräfte und die von der Armee eingesetzte mörderische, terroristische Hisbollah nicht nur PKK Anhänger, sondern ungezählte normale kurdische Bürger, aber auch Akademiker, Politiker und Schriftsteller ermordete, benutze die PKK ihrerseits
Morde und Attentate als politisches Mittel. So erklärte sie allen Türkischlehrern in Kurdistan den Krieg und ließ über Hundert von ihnen ermorden.

Schrecklich war die Kampfweise der PKK für die eigene kurdische bäuerliche Bevölkerung. Fern von den Kampfgebieten  mit den Direktiven des syrischen Diktators, fällte Öcalan unzählige Fehlentscheidungen, die ein Desaster nach dem anderen für die Partisanen
verursachten. Öcalan griff in die Führungsstrukturen ein,setzte bewährte Kommandeure ab oder ließ sie verfolgen. Die Guerilla konnte so den Bauern und anderen Dorfbewohnern keinen wirklichen Schutz gewähren. Sie drangen nachts in die Dörfer ein, baten oder erzwangen Unterstützung. Tagsüber kamen die türkischen Soldaten mit neuen Repressionen. Schließlich stellte die Armee Kurdistans Dörfler vor die Entscheidung: „ Ihr werdet Dorfschützer, nehmt unsere Waffen an, verteidigt Euch gegen die PKK oder wir zerstören Eure Dörfer.“Fazit: 3.428 Dörfer Türkisch-Kurdistans wurden zerstört. Zweieinhalb Millionen Landbewohner mussten in die
Elendsquartiere der Städte umziehen. Hunderttausende wanderten ab in die Westtürkei oder bildeten den Grundstock der großen kurdischen Emigration in Deutschland und den Nachbarländern. Sie gingen ihrem Land verloren. Dafür ist die Türkei ebenso verantwortlich wie die PKK. Unerträglich, dass diese kurdische so genannte Arbeiterpartei sich über Jahre in ihren Pressekommuniques der täglichen Abschussquoten in Sachen „Dorfschützern“ rühmte. Kein Wunder, dass etwa 35.000 der 40.000 Todesopfer des türkisch-kurdischen Bürgerkrieges Kurden waren.

Schließlich wurde Öcalan 1999 von verschiedenen Geheimdiensten, darunter dem israelischen, verfolgt und festgenommen. Seine Strategie hatte sich gegen ihn gewandt. Die Türkei hatte Truppen gegen Syrien aufmarschieren lassen und der Diktator hatte schnell
klein bei gegeben und die Auflösung der PKK Aufmarschbasis angekündigt. Öcalan verließ das Land und  unternahm eine tragische Irrfahrt. Kein europäisches Land wollte ihn aufnehmen. Schließlich entführte ihn der israelische Geheimdienst aus Kenia und lieferte ihn an die Türkei aus. Dort sitzt er auf einer Insel im Maramameer, beschäftigt mehrere Rechtsanwälte und entsendet durch sie  ständig Botschaften an die Reste seiner erfreulicherweise zusammenschrumpfenden Kampftruppen und an die Parteibasis in Südostanatolien.

Die 3.500 wirklichen oder angeblichen PKK Sympathisanten, von Ausnahmegerichten zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, seinerzeit nicht selten gefoltert, angeklagt des Separatismus, des Terrorismus und oft einfach nur Flugblätterverteiler oder
willkürlich Verdächtige, haben keine Möglichkeit als politische Gefangene sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Warum genießt der PKK Parteiführer und vielfacher Mörder Öcalan dieses Privileg? Zuletzt hat er den Waffenstillstand gekündigt. Es wird wieder
gekämpft, wenn auch auf kleiner Flamme.  Die Erklärung vieler kurdischer Persönlichkeiten  ist schwer nachvollziehbar, aber deutlich. Ohne PKK kein Krieg in Südostanatolien, keine Arbeit für die Armee, kein Argument für deren Führung für Sondergerichte,
Ausnahmezustand und autoritären Staat. All das stellt die konservative aber maßvolle islamische Regierung  infrage, bedrohte die Position der Armee durch eine Reihe von Reformen.

Zwei traurige Tatbestände sind nachzutragen. Gemeinsam haben Assad und Öcalan mindestens Zehntausend junge syrische Kurden in die Einheiten der PKK gelockt. Sie wurden dann in die Kampfgebiete geschickt. Die große Mehrheit von ihnen, auch junge Frauen, sind gefallen oder von türkischen Einheiten liquidiert worden.

Nicht so dramatisch, aber schlimm genug, ist das Schicksal der deutschen Yeziden, heute eine Menschengruppe – vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen- von mehr als 50.000 Menschen. Auch diese Gruppe wurde mit einem eng gespannten Netz der Kontrolle und Repressionen überzogen – jahrelang mitten in Deutschland. Wer sich zu wehren suchte, wurde bedroht
oder zusammenge-schlagen. Ihre kleinen Betriebe mussten Steuern zahlen. Wer sich weigerte, dessen Einrichtung wurde zerstört oder er wurde mit anderen Sanktionen konfrontiert. Eine Reihe junger Menschen, junge unmündige Männer und Frauen, wurden in niederländische oder belgische Lager geholt und dort ausgebildet. Erst die Gesellschaft für bedrohte Völker beendete diese Praxis,
als sie die PKK und deren deutsche Freunde mit einem offenen Brief, gesandt an die Massenmedien, so unter Druck setzte, dass die letzten sechs Jugendlichen in ihre Heimat zurück geschickt wurden. Manchmal zahlt sich Härte und Ausdauer
eben aus.

Noch hat die PKK nicht wirklich aufgegeben. Wieder wurde ein Konzert des berühmtesten kurdischen Sängers Sivan Perver in Athen von PKK Schlägern beendet, wie beinahe ein Jahr zuvor das Sivan Konzert der Gesellschaft für bedrohte Völker in Bonn. Die inzwischen weltbekannte kurdische Parlamentarierin Leila Zana
– lange Zeit PKK Sympathisantin
– und endlich aus politischer Haft entlassen, wurde öffentlich bedroht. Wieder wurden auch in Deutschland  PKK Dissidenten misshandelt oder sogar ermordet. Die Weiterexistenz der PKK, als KONGRA GEL, beschädigt den kurdischen Namen, gef
ährdet die Regionalautonomie im Nordirak, überall als vergleichsweise human und zivilisiert gelobt, und gibt der Türkei neue Munition, Irakisch –Kurdistan zu bedrohen. Ihre schnelle Auflösung wäre ein großer Schritt nach vorn für die 15 Millionen türkischen Kurden
und die Entwicklung einer Vielfalt von kurdischen  Parteien, Institutionen und  NGO´s sowie für die kurdische Nation überhaupt.

Tilman Zülch, Generalsekretär der Gesellschaft für
bedrohte Völker, Near East DeskPO-Box 2024 37010 Goettingen

Email:                                                                                                         12 August 2004


An die Öffentlichkeit


Der türkische Staat muss sich beim kurdischen Volk für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit entschuldigen, die TäterInnen verurteilen und die Opfer entschädigen

Seit mehreren Monaten werden auf den WEB-Seiten von Gelawej und von zahlreichen kurdischen Personen und Organisationen Kampagnen geführt, die den türkischen Staat auffordern, die Folterer nach dem Militärputsch vom 12. September 1980, die im berüchtigten Gefängnis von Diyarbakir Tausende politische Gefangene gefoltert haben, zu bestrafen sowie diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die bisher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Sie fordern auch den türkischen Staat auf, sich bei den Betroffenen, an denen und/oder an deren Familienangehörigen seit dem Militärputsch vom 12. September 1980 bis heute Verbrechen begangen wurden, offiziell zu entschuldigen.

Die Weltöffentlichkeit ist nach der Aufdeckung der Folter an irakischen Häftlingen durch US-amerikanische Militärangehörige im Al-Graib-Gefängnis sensibilisiert. Dies hat gleichzeitig die systematische Folter, insbesondere die Kriegsverbrechen der türkischen Sicherheitskräfte gegen das kurdische Volk sowie das Verbrechen dieser Kräfte gegen die Menschlichkeit auf die politische Agenda gesetzt.

Gerade während des 15 Jahre dauernden Krieges des türkischen Staates gegen die Bevölkerung in Kurdistan wurden


Presseerklärung

Zur Beendigung des Überwachungsverfahrens des Europarates für die Türkei


Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat am 22.06.2004 nach einer Debatte über den Bericht der Berichterstatterin Frau Mady Delvaux-Stehres das vom Europarat 1996 eingeleitete Überwachungsverfahren (Monitoring) in der Türkei beendet.

 Die Parlamentarische Versammlung „begrüßt dabei die demokratischen Fortschritte der jetzigen türkischen Regierung, insbesondere die Abschaffung der Todesstrafe, der Staatssicherheitsgerichte und den verringerten Einfluss des Militärs hervor. Sie lobt weiterhin die Stärkung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Einführung von kurdisch-sprachigen Radio- und Fernsehsendungen in der Türkei.“ Sie kritisiert gleichzeitig, dass in der Türkei weiterhin Folter gibt, dass es noch Mängel an Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten gäbe. Die Behauptung „der Einfluß der Militärs hätte sich verringert“ entspricht nicht der Realität.

Das Bestehen der militärischen Organisation EMASYA und die Erklärungen der türkischen Generäle in den letzten Wochen machen weiterhin ihren Einfluß auf die Politik der Türkei deutlich.Die Berichterstatterin Frau Delvaux- sollte beim Verfassen Ihres Türkei-Berichtes stärkeres Augenmerk auf die Berichte von Amnesty International, der Menschenrechtsstiftung (TIHV) und des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD) richten. 

Auch die heutige Regierung in Ankara hat keine Absicht sich von der 80-jährigen saatlichen Kurden- und Minderheitenpolitik zu verabschieden und wirksame Schritte zur Lösung des Kurdenkonfliktes zu unternehmen. Ihre Politik basiert weiterhin auf Assimilierung von ca. 20 Millionen Kurden und der religiösen sowie ethnischen Minderheiten in der Türkei. Die Drohungen vom Ministerpräsidenten Erdovan und des Justizministers Cicek in den letzten Tagen machen diese bisher betriebene Politik deutlich. Beide drohen insbesondere den kurdischen Politikerinnen und Politikern, die eine offizielle Anerkennung der kurdischen Identität fordern mit  Gewaltanwendung (Devletin Sopasi).Auch die KommentatorInnen der meisten türkischen Medien stellen sich hinter der bisherigen Regierungspolitik und verlangen von KurdInnen zu schweigen und fordern ihre Assimilierung.

 Die bisher eingeführten muttersprachlichen Sendungen lediglich im staatlichen Radio- und Fernsehanstalt TRT ist ein Hohn gegenüber ein viertel der Bevölkerung der Türkei. Dass diese Sendungen die kurdische Bevölkerung nicht im geringsten Masse befriedigen, mussten nach Beginn der Sendung in TRT auch die türkischen Medien zugeben. Genauso ist mit den kurdischsprachigen Kursen. Bisher sind unter größten bürokratischen Schwierigkeiten in drei Orten ein Kurdischsprachiger Kurs genehmigt worden. Kurdische Kinder und Jugendliche haben keine Change diese Kurse zu besuchen, weil diese Kurse während der Schulzeit und an den Wochenenden durchgeführt werden müssen.

 Auch die heutige Regierung versucht die internationalen Institutionen hinters Licht zu führen. Wenn die Parlamentarische Versammlung des Europarates von den Fortschritten in der Türkei überzeugt ist und deswegen das Überwachungsverfahren beendet, warum fordert sie von der Türkei nicht die Unterzeichnung bzw. Ratifizierung von internationalen Konventionen wie die Konvention zum Schutz des Kindes und die Konvention zum Schutz der Minderheiten?

 Die Türkei weigert sich bisher beharrlich die beiden Konventionen zu ratifizieren, weil sie nicht bereit ist, die Identität der kurdischen Nation in der Türkei offiziell anzuerkennen und damit ihnen ihre kollektiven Rechte zuzugestehen.Die Türkei ist weiterhin nicht bereit die Religionsfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürgern einzuführen.Daher protestieren wir den Beschluss der Parlamentarischen Versammlung des Europarates das Überwachungsverfahren aufzuheben.Wir fordern vom Europarat und anderen europäischen Institutionen auf die Türkei einzuwirken, wirksame Schritte zur Lösung des Kurdenkonfliktes und der Minderheitenproblematik einzuleiten.

 Bonn, 25. Juni 2004  gez.    Abubekir  Saydam (Geschäftsführer des IMK e.V.)

IMK e.V. – Internationales Zentrum für die Menschenrechte der Kurden


Bericht der Sozialistischen Partei Kurdistans (PSK)

zu den Entwicklungen in der Türkei und die Diskussion um den EU-Beitritt

 


In diesem Zustand verdient die Türkei nicht, Mitglied der EU zu werden !

Auf dem EU-Gipfel im Dezember 2004 steht die Türkei auf der Tagesordnung ganz oben. Die EU wird bei diesem Treffen beschließen, ob und wann die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beginnen sollen.

Die Türkei behauptet, sie habe zahlreiche der von der EU geforderten Gesetzesänderungen und die dazu nötigen Verordnungen schon durchgeführt und würde bis zu diesem Gipfel auch die übrigen Gesetzesänderungen durchbringen. Im Gegenzug dazu erwartet Sie von der EU die Nennung eines Termins für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen.

Hat die Türkei wirklich ihre Hausaufgaben erledigt? Hat sie die Kopenhagener Kriterien, die sie zuvor erfüllen muss, insbesondere die politischen, erfüllt?

Die türkische Regierung beantwortet diese Fragen gerne mit ja. Seltsam ist, dass die Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei CHP, die sich gerne als links und fortschrittlich bezeichnet, fragt, warum man so viele Reformpakete brauche und findet, dass man viel mehr Schritte gemacht hätte als nötig.

Aber der Fortschrittsbericht der EU-Kommission vom 5. November 2003, der vom Europaparlament am 31. März 2004 angenommene Oostlander-Bericht und die Berichte der Nichtregierungsorganisationen in der Türkei zeichnen ein völlig anderes Bild. Aus diesen Berichten geht deutlich hervor, dass die Änderungen, insbesondere die den Nationalen Sicherheitsrat betreffen, nicht umgesetzt wurden und das Militär weiterhin einen großen Einfluss auf die Politik nimmt. Es wird hervorgehoben, dass gerade die erlassenen Ausführungsbestimmungen die Anwendung der geänderten Gesetze und der neuen Rechte geradezu verhindern.

Die Reformpakete dürfen nicht auf das Militär angewendet werden!

Die das Militär betreffenden Änderungen sind ein gutes Beispiel dafür, dass die Anstrengungen der türkischen Regierung in Richtung Anpassung an die EU reine Augenwischere sind. Mit den neuen Verordnungen werden die gerade anerkannten Rechte wieder rückgängig gemacht.

In dem vom niederländischen Christdemokraten Arie Oostlander erarbeiteten Türkei-Bericht, der vom Europäischen Parlament angenommen wurde, wird zum Ausdruck gebracht, „dass das Europäische Parlament über die einflussreichen offiziellen wie auch inoffiziellen Netzwerke des Militärs besorgt ist". Diese Besorgnis spiegelt die Realität wider.

 

So ernennt beispielsweise das Generalsekretariat des Generalstabs immer noch seine Vertreter in den Hochschulrat (YÖK) und in die Oberste Überwachungsbehörde für Radio und Fernsehen (RTÜK).

Alle Änderungen, die das Generalsekretariat des Nationalen Sicherheitsrats (NSR) betreffen und die mit dem 7. Reformpaket am 30. Juli 2003 angenommen wurden, wurden später mit Verordnungen wieder umgangen. Das 7. Paket hatte den Militärs alle politischen Befugnisse außer der Verteidigungspolitik der Streitkräfte weggenommen. So wurde dem Militär untersagt, über die zivile Politik zu bestimmen, zu korrigieren, Aktionspläne vorzubereiten sowie Pläne für Kriege und für zivile Dienste zu machen. Die Verordnungen besagen auch, dass die Führung des NSR paritätisch von einem zivilen und einem militärischen Vertreter besetzt sein muss. Ist der Generalsekretär des NSR ein Zivilist, dann muss sein Stellvertreter ein Militär sein bzw. umgekehrt.

Die türkische Regierung will außerdem ein neues Projekt verwirklichen, das die Gendarmerie dazu ermächtigt, auch in den Städten nachrichtendienstlich aktiv zu werden, also Informationen zu sammeln, organisierte Kriminalität und terroristische Aktivitäten zu verfolgen. Derzeit fällt die Sicherheit auf dem Lande, also nahezu 90 % der Gesamtfläche der Türkei, in den Aufgabenbereich der Gendarmerie. Mit diesem Projekt werden die Soldaten, neben der Polizei, auch in den Städten eine gehobene Stellung bekommen.

Wie das folgende Beispiel zeigt, ist dieses Projekt bereits Realität.

Die Regimentskommandantur der Gendarmerie in der Provinz Diyarbakir verfolgt entgegen den neuen erlassenen Gesetzen diejenigen, die ihre Namen in kurdischen Namen ändern wollten. Sie forderte von den Staatsanwälten die Namen derer, die ihren Namen ändern und einen kurdischen Namen nehmen wollten und verfolgte sie mit massiven Repressionen. Das wurde auch in der türkischen Presse breit diskutiert. Dieser klare Angriff auf die Kurden, die von ihrem legalen Recht Gebrauch machen wollen, verfolgt einzig und allein das Ziel, die Kurden in eine derartige Angst zu versetzen, dass sie so etwas nicht noch einmal wagen. Fatal daran ist, dass die Staatsanwaltschaft, deren Aufgabe die Gesetze auszuführen ist, der Regimentskommandantur dabei geholfen und ihr die Namen der betroffenen Kurden genannt hat.

Viel bedeutsamer ist ein anderes Vorgehen, das vom Generalstab bestätigt und auch in den Medien diskutiert wurde. Die Oberkommandantur des türkischen Heeres hat eine Direktive an die örtlichen Behörden geschickt, wonach Informationen über die in "separatistische und zerstörerische Aktivitäten" verwickelten Personen und Gruppen gesammelt werden sollen. Mit dieser Direktive fordert die Oberkommandantur des Heeres von den Gouverneurs- und Landratsämtern die Namen und die Aktivitäten der inländischen so wie ausländischen Medien in der Türkei und der Diplomaten, die mit den separatistisch-terroristischen Organisationen zusammenarbeiten. Sie fragt auch nach deren Beziehungen zu Medien und politischen Vereinigungen. Weiter will sie wissen, mit welchen Parteien, die der separatistischen Terrororganisation zugewandten Parteien und Organisationen bei eventuellen Wahlen sich verbünden würden. Auch interessiert sich die Oberkommandantur des Heeres für Missionare und die Missionare unterstützenden Institutionen.

In derselben Direktive wird auch gefordert, dass man auch über die Gruppierungen, „die dazu neigen sich als ethnische Minderheit zu betrachten", also all diejenigen, die sich nicht als Türke fühlen, und über die Schriftsteller und Künstler, die gegen die Türkei agieren, Informationen gesammelt werden sollen. Beachtenswert in dieser Direktive ist, dass auch die Bürger, die in irgendeiner Beziehung zu den USA und Mitgliedsländern der EU stehen, beschattet werden sollen.

Der Kreis der Suspekten geht sogar noch weiter: Die Direktive schließt „philosophische Gruppierungen, Aktionsgruppen" und „High Society Gruppen, sowie die Vereinigungen, zu denen Künstler gehören, die Cliquen der Kinderreicher Familien, Sekten (Satanisten, Klu Klux Klan, Freimaurerlogen usw.) Internet- und Meditationsgruppen" mit in die Gruppen ein, über die Geheiminformationen gesammelt werden sollen.

Die militärische Sondereinheit EMASYA

Die Aktivitäten der Militärs sind nicht nur auf die Verfolgung der Anhänger der USA und EU sowie der zur High Society zählenden Personen begrenzt.

Es gibt eine Institution namens EMASYA, welche mit der türkischen Stadt Amasya nicht zu verwechseln ist, die berühmt ist für ihre Äpfel. EMASYA ist eine von Militärs ins Leben gerufene Organisation, die die Aufgabe hat, „Verräterlisten" zu erstellen. Als Verräter werden EU-Befürworter, Befürworter der zweiten Republik, Gegner des Militärs und Feinde von Atatürk" angesehen.

Wie die Presse berichtet, wurde EMASYA - Einheiten für Sicherheit, Ordnung und Zusammenarbeit ("Emniyet, Asayiş, Yardımlaşma Birlikleri”) gemäß eines Provinzverwaltungsgesetzes in den 60er Jahren gegründet.

Diesem Gesetz zufolge können die Gouverneure der Provinzen, wenn sie gegen politisch- gesellschaftliche Bewegungen Unterstützung brauchen, diese bei den militärischen Einheiten einfordern. Um diese Hilfe planen zu können, lässt das Militär die zum verdächtigen Kreis gehörenden Bürger ausspionieren und registriert Daten und Informationen über sie.

Bis 1970 wurde auf diese Weise verfahren. Nach 1997, also nachdem sich die Anstrengungen der Türkei zu einer Mitgliedschaft in der EU verdichtet hatten, wurde die Struktur von EMASYA nach einem Protokoll zwischen dem Innenministerium und dem Generalstab verändert. Mit diesem Protokoll wird den EMASYA-Einheiten das Recht übertragen, eigenständig und nach eigenem Gutdünken, auch ohne die Informationsnachfrage durch Gouverneure, in die politisch-gesellschaftliche Ereignisse einzugreifen. Seit 1997 wurden diese Einheiten in Verbänden umstrukturiert, die 24 Stunden in Alarmbereitschaft stehen und koordiniert agieren.

Diese EMASYA-Einheiten, die aus den Reihen des Heers gebildet wurden, sind befugt, von den Gouverneursämtern jegliche Informationen fordern und gegebenenfalls die Gouverneursämter beeinflussen. Mit dem Protokoll von 1997 zwischen dem Innenministerium und dem Generalstab hat der Generalstab zivile Verwaltungsstrukturen wie Gouverneursämter und Landratsämter unter ihren Einflussbereich gebracht. Die EMASYA-Einheiten sind befugt, quasi die ganze Gesellschaft in der Türkei zu überwachen und verfolgen.

Es ist ein völkerrechtliches Prinzip, dass die Protokolle nicht dem Grundgesetz und den Gesetzen widersprechen dürfen. Wenn sie völkerrechtlich nicht gedeckt sind, müssen sie aufgehoben werden. Die türkische Regierung hat aber trotz dieses völkerrechtlichen Prinzips das Protokoll, das den Einflussbereich des Militärs immens ausweitet, nicht aufgehoben.

Kann man nun trotz allem von der türkischen Regierung sagen, sie habe ihre von der EU-Kommission gestellten Hausaufgaben erledigt? Ziel der Reformen sollte ja die Verringerung des Einflusses des Militärs auf das zivile Leben und die zivile Verwaltung sein.

Wir sagen Nein!

Die AKP steht wegen ihrer Ideologie unter der strengen Beobachtung des Militärs. Deswegen hat die AKP-Regierung große Angst, das Militär könnte sich gegen sie stellen. Das Militär wiederum nährt mit seinen Vorstößen diese Angst. Die Regierung wagt deswegen die ernsthaften Schritte hin zu einer Demokratie, die mit der Verbannung des Militärs aus dem politisch-zivilen Leben zusammenhängen, nicht.

 Die Verfassung vom 12. September ist immer noch in Kraft

Die bisherigen türkischen Regierungen wollten sich im Rahmen der EU-Beitrittsprozesses ein paar Schritte vorwagen, um einige der Verpflichtungen aus dem „Nationalprogramm" zu erfüllen. Doch für wiederum einige andere wichtige Änderungen konnten sie nicht die Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates bzw. der Militärs erhalten. Einige Gesetzesänderungen wurden durch die anschließend erlassenen Verordnungen quasi wieder rückgängig gemacht.

Die Änderungen an dem Grundgesetz sind nicht über leichte Retuschierungen hinausgegangen und so ist die Kritik von Arie Oostlander in seinem vom Europäischen Parlament angenommenen Bericht, dass das türkische Grundgesetz, das den Siegel des autoritären Regimes von 1982 trägt, sei geschützt worden, sehr berechtigt.

Wie türkische Elitejuristen und die türkische Anwaltskammer ausdrücklich feststellen, ist das Grundgesetz von 1982 ist ein Produkt der Militärjunta vom 12. September 1980. Diese Verfassung ist von der ersten bis zur letzten Zeile antidemokratisch und kann daher nicht mit einigen Retuschen in ein demokratisches Grundgesetz umgewandelt werden. Wie der nun pensionierte Präsident des Kassationsgerichthofs Sami Selcuk zum Ausdruck bringt, ist diese Verfassung lediglich eine „Polizeisatzung".

Die Verfassung von 1982 ist nicht erarbeitet worden, um die Rechte und Freiheiten des Bürgers zu sichern, sondern den Staat vor den sogenannten nicht vertrauensunwürdigen, potenziell schuldigen und gefährlichen Bürgern zu schützen. Sie ist eine Sammlung von schriftlichen Bestimmungen und Anordnungen, die die Freiheiten der Bürger weitestgehend einschränken und uneinforderbar machen.

Dieses Grundgesetz beruht von Anfang an auf einem rassistisch-chauvinistischen Gedankengut. Die Präambel ist eine rassistische Erklärung ohne Beispiel. Während diese Verfassung das Türkentum und die türkische Kultur zu einem Fetisch aufbaut, werden gleichzeitig andere Nationalitäten und Kulturen verleugnet.

Wie der niederländische Parlamentarier Oostlander in seinem erwähnten Bericht fordert, muss also eine neue, zivile, demokratische Verfassung erarbeitet werden.

 Wie ist der Stand der Menschenrechte nach all diesen Reformpaketen?

In der Türkei wurden seit dem 6. Februar 2002 mehrere Reformpakete verabschiedet.

Die türkischen Regierungen behaupten, mit diesen Paketen seien die Menschenrechte, Demokratie und die Rechte sowie Freiheiten den europäischen Standards angepasst, Folter und Misshandlungen verhindert worden sind.

Die Berichte der Menschenrechtsorganisationen machen allerdings deutlich, dass die Türkei von diesen Zielen noch weit entfernt ist. Doch auch die türkischen Politiker, die sich rühmen, ihre „Hausaufgaben" erledigt zu haben und nun nach einem Termin für den Beginn der Beitrittsverhandlungen drängen, müssen ehrlich gestehen, dass sie im Fach Menschenrechte durchgefallen sind. Sie kommen nicht umhin zu gestehen, dass sie „in der Praxis Schwierigkeiten haben, aber bemüht sind, diese auszuräumen."

Der Bericht der international hoch angesehenen Stiftung für die Menschenrechte in der Türkei (TIHV) legt in seinen jährlichen Berichten der Weltöffentlichkeit den Stand der Rechte und Freiheiten im Lande offen.

Dem „Bericht über die Meinungsfreiheit in der Türkei 2003" der TIHV zufolge wurden in der Türkei im Bereich der „Meinungsdelikte" 774 Fälle vor den Gerichten verhandelt. Weiter sagt der Bericht, im Jahre 2003 seien „diejenigen Parteien, NGO’s, Journalisten, Schriftsteller und Künstler weiterhin unter Druck gesetzt worden, deren Äußerungen und Aktivitäten mit der offiziellen Politik des Staates nicht konform sind." Gegen Journalisten und Intellektuelle wurden wegen ihrer Meinungsäußerungen, sowohl mündlich als auch in den Medien, in 774 Fällen Prozesse angestrengt.

In 70 Fällen wurden mit der Behauptung Prozesse eingeleitet, diese hätten „den Staat, die Republik, die Sicherheitskräfte und das Militär beleidigt". In 7 von 21 abgeschlossenen Verfahren wurden Hafturteile ausgesprochen.

Sehen wir uns nun den Bericht des Menschenrechtsvereins (IHD) von Diyarbakir an.

 

Diesem Bericht zufolge wurden im Jahre 2003 85 Personen durch unbekannte Täter ermordet. 21 Personen kamen durch Explosionen von Landminen ums Leben. 548 Personen wandten sich mit Beschwerden an den Menschenrechtsverein, misshandelt und gefoltert worden zu sein. Gegen 1298 Beamte wurde wegen ihrer Meinungsäußerungen und Aktivitäten Untersuchung eingeleitet. 40 angemeldete Veranstaltungen in der Region wurden nicht genehmigt.

In der Region wurden in 5625 Fällen Menschenrechtsverletzungen und Freiheitsberaubungen verzeichnet, 2089 Personen von ihnen wandten sich deshalb an den Menschenrechtsverein.

 

Diyarbakir ist ein kleiner Teil von Nordkurdistan. Die Menschenrechtsverletzungen im ganzen Kurdistan übersteigen diese angegebenen Zahlen um ein Vielfaches. Diese Zahlen zeigen nur die Personen, die den Mut aufgebracht haben, sich an den IHD zu wenden. Man sollte nicht vergessen, dass Menschenrechtsverletzungen in ländlichen Gebieten wegen der Angst der Menschen vor der Gendarmerie und Spezialeinheiten nicht angezeigt werden. Denn die Personen, die das wagten, wurden später hart bestraft.

In dem vom Menschenrechtsverein Istanbul erarbeiteten „Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Istanbul 2003" stehen kurz zusammengefasst diese Informationen:

Im Jahre 2003 wandten sich 283 Personen, davon 34 Kinder und 92 Frauen, wegen Folter und Misshandlungen an den Verein. 138 Zeitungen und Zeitschriften wurden konfisziert, innerhalb eines Jahres wurden gegen Personen wegen ihrer Meinungsäußerungen Gefängnisstrafen von 62 Jahren und 10 Monaten sowie Geldstrafen in Höhe von rund 287 Milliarden Lira verhängt. In diesem Jahr wurden Bombenattentate gegen fünf Parteigebäude verübt.

Die Zentrale des Menschenrechtsvereins in Ankara veröffentlichte auch einen Bericht, über die Menschenrechtsverletzungen im Jahre 2003. Nach diesem Bericht wurden 44 Personen ohne jegliche gerichtliche Urteile umgebracht und 49 Personen verletzt. 13 von ihnen wurden von den Sicherheitskräften erschossen, weil sie trotz des Befehls stehen zu bleiben nicht hielten, 12 Personen wurden durch Dorfschützer ermordet.

Im Jahr 2003 kamen 20 Häftlinge wegen den Zuständen in den Gefängnissen ums Leben. 11 von ihnen verübten Selbstmord, zwei Personen starben in Folge des Hungerstreiks, eine Person verbrannte sich, drei wurden von anderen Gefängnisinsassen ermordet und drei Personen starben, weil sie keine ärztliche Behandlung bekamen. 113 Personen wurden in Gefängnissen gefoltert. Zwei Personen starben in Gewahrsam. 818 Personen wurden misshandelt. 10 Klagen wegen des Todes in Polizeigewahrsam sind noch nicht abgeschlossen.

In Jahr 2003 wurden 99 Schüler und Studenten, 66 Journalisten, 11 Parteifunktionäre, 11 Lehrer, 8 Gewerkschafter, 8 Mitglieder verschiedener Stiftungen und Vereine, 9 kommunale Funktionäre, also insgesamt 222 Personen, von der Polizei angegriffen.

Ausserdem wurden in diesem Zeitraum in nur vier Städten 98 Musikkassetten, 23 Bücher, 25 Zeitschriften konfisziert oder verboten, 24 Zeitungen und Zeitschriften geschlossen. 26 kulturelle Veranstaltungen erhielten von den Behörden keine Erlaubnis. 30 Mal wurden Büroräume verschiedener Zeitungen und Zeitschriften von der Polizei durchsucht. 11 Fernsehkanäle und 10 Radiosender wurden für insgesamt 480 Tage geschlossen.

In politischen Prozessen, die 2003 abgeschlossen wurden, verurteilten die Gerichte 171 Personen zu 324 Jahren Gefängnisstrafe und von 5 Milliarden Lira Geldstrafe. 736 Personen wurden aus ihren Wohnorten verbannt. In 46 Parteigebäuden nahm die Polizei Razzien vor.

Ein interessanter Vorfall ereignete sich in der kurdischen Provinzstadt Van. Der Menschenrechtsverein in Van druckte anlässlich des Weltfriedentags ein Plakat in kurdischer Sprache. Dieses Plakat wurde von einem Gericht in Van verboten. In Windeseile wurde der Urteilspruch auch in andere Städte geschickt, damit das Plakat auch dort verboten wird.

Was wäre, wenn es den Brief von Powell nicht gegeben hätte?

Der Prozess gegen die Polizisten, die vor zehn Jahren den Studenten Birtan Altintas unter Folter umgebracht hatten, verdeutlicht beispielhaft wie wenig ernst und wie unehrlich die türkischen Politiker in ihrem Vorhaben sind, Folter und Misshandlungen zu verfolgen.

Gegen die angeklagten Polizisten konnte kein Prozess geführt werden, weil sie angeblich nicht an ihren Wohnsitzen aufzufinden waren und ihnen deshalb die Vorladung nicht zugestellt werden konnte. Interessant ist jedoch, dass von diesen mit Haftbefehl gesuchten Polizisten zwei im Ruhestand sind und vom Staat jeden Monat ihre Pension bekommen. Einer von ihnen war sogar während der Ecevit-Koalition Berater eines Ministers. Einige der Polizisten kündigten ihren Beruf als Polizist und wurden bei den anderen staatlichen Behörden eingestellt.

Es ist lächerlich: Ein Staat, der der EU beitreten möchte, der viele Gesetze erlässt, um Folter und Misshandlungen zu verhindern, kann seine Bediensteten, die diese Verbrechen begangen haben nicht finden, um ihnen den Prozess zu machen! In welchem anderen Land kann so etwas merkwürdiges passieren?

Nachdem US Außenminister Powell in einem Brief an seinen türkischen Kollegen seine Besorgnis über den Fall von Altintas zum Ausdruck gebracht hatte, wurden plötzlich die Polizisten gefunden und verurteilt. Was nicht bedeutet, dass sie ins Gefängnis kamen. Warum? Weil der Staat, der ihnen jeden Monat ihre Rente bzw. ihren Gehalt auszahlt, kann sie nicht finden und festnehmen. Deswegen sind die verurteilten Polizisten noch immer auf freiem Fuß.

Die Berichte der Menschenrechtsorganisationen und der Fall Altintas belegen, dass auch in der Zeit der AKP-Regierung, die vollmundig entschlossen von „Null Toleranz gegenüber Folter" spricht, die Menschenrechtsverletzungen unverändert fortgesetzt wurden. Die Regierungen, die die EU-Anpassungsgesetze verabschiedet haben, begnügen sich mit kleinen Retuschen statt die neuen Gesetze in die Praxis umzusetzen. Sie signalisieren der Bevölkerung ihres Landes klar und deutlich, dass sie nicht vorhaben, ernsthafte Schritte zur Anerkennung und Praktizierung der Menschenrechte einzuleiten.

Und was ist mit den Menschenrechten und den nationalen Rechten der Kurden?

Was geschieht mit denen, die muttersprachliche Kurse und kurdische Namen forderten und Kurdisch sprachen?

Mit dem Reformpaket vom 3. August 2002 wurde die Todesstrafe abgeschafft, mit der Ausnahme des Kriegsfalles und des drohenden Krieges.

Mit Änderungen an einigen Gesetzen wurden „Radio- und Fernsehensendungen in anderen Sprachen und Dialekten, die die Bürger in ihrem alltäglichen Leben benutzen", zugelassen. Außerdem wurde erlaubt, diese Sprachen in privaten Sprachkursen zu lehren.

Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen. Was in diesen zwei Jahren geschehen ist, zeigt, dass die türkischen Politiker auch in diesem Bereich den Weg zur Augenwischerei gewählt haben und versuchen, Zeit zu gewinnen.

Nachdem mit dem 3. Reformpaket erlaubt worden war, „die traditionellen Sprachen und Dialekte in Privatkursen zu lehren", haben viele Studenten und Schüler und deren Eltern Anträge bei den Universitäten bzw. Schulbehörden gestellt, um von diesem Recht Gebrauch zu machen. Diese Studenten und Schüler wurden allesamt von den Schulen und Universitäten entfernt, mit ihren Eltern zusammen festgenommen und gegen sie Prozesse geführt.

Diejenigen, die die Anpassungsgesetze nutzen und trotz der Drohungen seitens der Gendarmerie ihre türkischen Namen in kurdische umändern wollten, scheiterten vor Gerichten. Einige Gerichte lehnten die Anträge mit der Begründung ab, die Namensänderungen würden „der laizistischen, republikanischen, rechtstaatlichen, die Menschenrechte achtenden Qualität des türkischen Staates nichts beitragen". Ein anderer Ablehnungsgrund war, dass das türkische Alphabet die Buchstaben Q, W, X nicht enthält, die aber im kurdischen vorhanden sind.

Die erarbeiteten „Bestimmungen für das Lernen traditioneller Sprachen und Dialekte" knüpften dieses Recht an sehr viele Hindernisse. So zum Beispiel müssen die Personen, die diese Kurse besuchen, mindestens einen Grundschulabschluss haben. Die Kurse müssen außerdem an Wochenenden und während der normalen Arbeitszeiten stattfinden. In den Kursen ist es verboten, „separatistische Symbole" und „separatistische Farben" wie Rot, Gelb und Grün nebeneinander zu benutzen.

 

Die Personen, die private Kurdischkurse eröffnen wollten, wurden mit unzähligen Schwierigkeiten konfrontiert. Was sie erlebt haben ist filmreif! Nur zwei Privatschulen in Urfa und Batman haben alle Hindernisse überwinden können, wie zum Beispiel den Lehrplan des Staates oder die Mängel, die die Bauaufsicht festgestellt hatte. In einigen dieser Schulen waren entweder „die Türen zu niedrig" oder „die Fenster zu eng". In anderen Städten kämpfen diejenigen, die Kurdischkurse anbieten wollen, immer noch mit diesen lächerlichen Hindernissen.

 

Nachdem mit dem 3. Reformpaket erlaubt wurde, die „lokalen und traditionellen Sprachen und Dialekte" zu lernen und dafür Sprachkurse eröffnet werden durften, wurden in der Universität Cukurova Kulturveranstaltungen organisiert. 30 Studenten dieser Universität wurden deshalb anschließend für den Zeitraum zwischen einem Monat und einem Jahr von der Universität entfernt, weil sie „in lokalen Sprachen Lieder gesungen, in traditionellen Trachten ideologische Tänze getanzt haben." Sie wurden auch „als potenzieller Ruhestörer" eingestuft und beschuldigt „Reden in kurdischer und arabischer Sprachen gehalten" zu haben.

Mit dem 3. Reformpaket wurde auch beschlossen, dass in den alltäglich benutzten Sprachen und Dialekten Radio- und Fernsehsendungen ausgestrahlt werden dürfen.

Die dafür von der Obersten Überwachungsbehörde für Radio und Fernsehen (RTÜK) erarbeiteten und am 25. Januar 2004 im Staatsanzeiger veröffentlichten Bestimmungen ist eine Beleidigung für das kurdische Volk!

Mit diesen Bestimmungen wird es nur den staatlichen Sendern erlaubt, in diesen Sprachen Programme zu senden. Private lokale oder regionale Sender müssen erst mal darauf warten, bis die Oberste Überwachungsbehörde für Radio und Fernsehen einen Zuschauer- und Hörerprofil erstellt hat. Wann das geschehen wird, weiß keiner.

Die Bestimmung grenzt ganz klar ein: in den lokalen Sprachen dürfen wöchentlich lediglich nur fünf und im Fernsehen nur vier Stunden Programme ausgestrahlt werden. Diese Programme müssen nur mit gleichzeitigen türkischen Untertiteln versehen sein. Zeichentrickfilme für Kinder in den besagten Sprachen verbietet RTÜK. So will die Behörde verhindern, dass die Kinder ihre Muttersprache lernen. Dadurch wird die bekannte Assimilationspolitik mit anderen Mitteln weiterbetrieben.

Seit der Verabschiedung des dritten Reformpakets wurde kein einziges Mal in einem nationalen Radio- und Fernsehsender in irgendeiner lokalen Sprache oder Dialekt gesendet. Allein das würde zur Genüge beweisen, wie unwillig die türkischen Politiker sind, diese Änderungen auch umzusetzen.

Den 20 Millionen Kurden in der Türkei nur fünf Stunden Sendungen im Radio und vier Stunden Sendungen im Fernsehen zu erlauben und davor noch auch unüberwindbare Barrieren aufzubauen, ist Betrug am kurdischen Volk und Verwässerung der politischen Kopenhagener Kriterien.

 Was mit den Parteien und ihren Funktionären passiert, die den Kurdenkonflikt thematisieren

Die Türkei ist ein Parteienfriedhof, in dem vor allem die Parteien ruhen, die die Kurdenproblematik und deren Lösung in ihr Programm aufgenommen haben. Bis heute wurden in der Türkei zahlreiche Parteien verboten, die sich nicht an das faschistische Parteiengesetz des Regimes von 12. September gehalten haben. Eine Vielzahl von Parteifunktionären mussten deswegen ins Gefängnis. Sie wurden gefoltert oder durch „unbekannten Täter" ermordet. Vielen Politikern wiederum wurde das Recht, aktive Politik zu betreiben, aberkannt.

Mit dem zweiten Reformpaket vom 26. März 2002 wurde auch das Gesetz für politische Parteien geändert. Aber auch hier geschah bisher praktisch nichts!

Nach Verabschiedung des zweiten Reformpakets wurde die Demokratiepartei des Volkes (HADEP) verboten. Gleich nach ihrer Gründung wurde gegen die Partei für Grundrechte und Freiheiten (HAK-PAR) Verbotsklage vor Gericht erhoben. Das Verfahren dauert noch an.

Trotz all dieser Reformgesetze werden Funktionäre der politischen Parteien angeklagt, weil sie während ihrer parteipolitischen Aktivitäten kurdisch gesprochen haben. Der Parteivorsitzende von HAK-PAR wurde festgenommen, weil er auf einer Wahlkampagne in Diyarbakir Kurdisch sprach. Weil er auf einer von seiner Partei organisierten Veranstaltung in der Stadt Urfa die Teilnehmer in kurdischer Sprache begrüßt hatte, wurde er zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Die Mitglieder des Parteivorstands von HAK-PAR wurden vor Gericht gestellt, weil sie die Einladung zum ersten Parteitag in kurdischer und türkischer Sprachen verfasst und auch auf diesem Parteitag Reden in kurdischer Sprache gehalten hatten. Der Prozess gegen diese Mitglieder geht weiter.

Auch die von HAK-PAR organisierte Veranstaltung am 11. April 2004 über „die Kurden und die Türkei im Beitrittsprozess zur EU" wurde vom Gouverneursamt der Provinz Diyarbakir verboten.

Der türkische Staat, der viele Gesetze ändert und nacheinander Reformpakete verabschiedet, um der EU beitreten zu können, duldet nicht, dass die Kurden ihre Meinung zu diesem Reformprozess äußern und verbietet deswegen zu diesem Zweck organisierte Veranstaltungen.

Wenn das nicht eine Verhöhnung der EU und deren Prinzipien ist, was dann?

Die EU soll zu ihren eigenen Prinzipien stehen!

Eine der Kopenhagener Kriterien ist die „gesellschaftliche Stabilität, die Sicherung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Achtung von Menschenrechten und das Schützen der Minderheitenrechte."

Wenn wir die oben zusammengefassten Praktiken berücksichtigen, müssen wir folgern, dass die Türkei insbesondere die zur Erfüllung der politischen Kopenhagener Kriterien nötigen Gesetzesänderungen noch nicht durchgeführt hat. Die verabschiedeten Gesetze werden nicht in der Praxis angewendet. Mit demagogischen Behauptungen hat sie die Kopenhagener Kriterien verwässert. Die Türkei hat nicht vor, sich der EU anzupassen. Stattdessen versucht sie, die EU auf ihre Linie zu bringen.

Die AKP-Regierung bekräftigt bei jeder Gelegenheit ihre Entschlossenheit, alles für einen Beitritt nötige zu unternehmen. Doch gegen die Kräfte, die gegen den Beitritt sind, ist sie nicht gerade standhaft. Ganz im Gegenteil versucht sie mit diesen Kräften Kompromisse zu schliessen.

Die Sozialistische Partei Kurdistan (PSK) plädiert für einen Beitritt der Türkei zur EU, wenn die Türkei die Kopenhagener Kriterien voll und ganz erfüllt.

Dennoch sind wir nicht der Meinung, dass die Kopenhagener Kriterien allein dazu reichen, die Kurdenfrage in der Türkei zu lösen. Denn die Kurdenfrage ist eine nationale Frage. Erst wenn auch den Kurden das „Selbstbestimmungsrecht", das in vielen internationalen Abkommen und allen voran in der UN-Charta steht, zuerkannt wird, kann dieser Konflikt gelöst werden.

Wir sind dafür, dass die Türkei eine Vollmitgliedschaft in der EU erlangt. Wenn aber die EU nicht „türkisiert" werden will, soll zu ihren Prinzipien stehen und der Türkei keinen Termin zu Beginn der Beitrittsverhandlungen nennen, solange die Türkei sich weigert, die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen, und zwar auch in der Praxis.

Wir erwarten von der EU, die Türkei auf ihre Verpflichtungen hinzuweisen und auf die Erfüllung unserer im Folgenden genannten Forderungen zu drängen.

1. Die Verfassung ist ein Produkt des faschistischen 12. September-Regimes. Sie muss abgeschafft werden. An ihre Stelle soll eine neue, die Kurden und deren Rechte anerkennende Verfassung erarbeitet und verabschiedet werden.

2. Die Rede- und Meinungsfreiheit und die Organisationsfreiheit sind gesetzlich zu garantieren und zu schützen, solange sie friedlich und gewaltlos in Anspruch genommen werden.

3. Das Recht die Muttersprache in jedem Bereich der schulischen Bildung und Erziehung zu nutzen, muss den Kurden zuerkannt werden.

4. Sendungen in kurdischer Sprache im Radio und im Fernsehen sind ohne jegliche Einschränkungen zuzulassen.

5. Die paramilitärischen Einheiten wie JITEM und das Dorfschützensystem sind gänzlich aufzulösen. Die Angehörigen dieser Einheiten sind für Ihre Verbrechen zu Rechenschaft zu ziehen.

6. Die kurdischen Parteien müssen das Recht haben, sich mit ihrer kurdischen Identität frei zu organisieren. Die dafür notwendige gesetzliche Grundlage muss geschaffen werden.

7. Der Staat soll sich von jeglichen Religionsangelegenheiten fernhalten. Jede Religionsgemeinschaft (Moslems, Christen, Juden, Yeziden, Aleviten, Assyrer usw.) müssen ihre Religion bzw. Konfession durch zivile Einrichtungen frei ausüben können.

8. Eine Generalamnestie, die ohne Einschränkungen jeden politischen Gefangenen einschließt, muss erlassen werden.

Wir sind erst dann für den Beginn der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU, wenn sie die Kopenhagener Kriterien ganz erfüllt und alle in diesem Rahmen möglichen Schritte zur Lösung des Kurdenkonfliktes unternimmt.

Der Türkei darf kein Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen genannt werden, bevor sie die Kopenhagener Kriterien erfüllt, sowohl gesetzlich, als auch in der praktischen Anwendung. Eine verfrühte Terminvergabe würde der Türkei Mut machen, den Kurden wie bisher ihre die elementaren Rechte rücksichtslos vorzuenthalten. Unterdrückung, Militarismus, Rassismus und Unrecht dürfen nicht belohnt werden.

Mai 2004

Sozialistische Partei Kurdistans (PSK)