KURDISTAN
DIE KURDENFRAGE - GESCHICHTE UND GEGENWART
KEMAL BURKAY
Die Kurdenfrage ist in den letzten Jahren erneut und intensiver auf die internationale Tagesordnung gekommen. Diese Frage beschäftigt seit Jahren die Länder in der Region grundlegend und führt zu ausgedehnten inneren Auseinandersetzungen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen. Um die Kurdenfrage in ihrer heutigen Dimension nachvollziehen, ist es nötig, wenn auch nur zusammenfassend, auf die geschichtlichen und geographischen
Hintergründe einzugehen.
Sprache, Religion und Geschichte
Die Kurden sind neben den Arabern, Persern und Armeniern eines der ältesten Völker der Region. Das von ihnen besiedelte Land wird Kurdistan genannt. Kurdisch gehört zur indo-europäischen Sprachfamilie und gehört neben dem Persischen, Afghanischen und dem Beludischen zur Gruppe der iranischen Sprachen. Mit dem Arabischen und dem Türkischen ist Kurdisch nicht verwandt. In kurdischer Sprache werden seit dem 10. Jahrhundert schriftliche literarische Werke verfasst. Die kurdische Sprache ist eine lebendige und reiche Sprache, die sich trotz aller Unterdrückung und Verbote, denen sie ausgesetzt war, bewahren konnte. Die Zahl der in Kurdisch schreibenden
Dichter, Schriftsteller und Forscher geht in die Hunderte. In kurdischer Sprache sind zig Wörterbücher und Grammatiken verfasst worden. Auch die kurdische Folklore ist sehr reichhaltig.
Innerhalb des Kurdischen sind mit der Zeit verschiedene Dialekte entstanden. Der am weitesten verbreitete Dialekt ist Kurmanci. Kurmanci wird von ca. 90 % der Kurden in der Türkei sowie im iranischen und im irakischen Kurdistan in den grenznahen nördlichen Gebieten zur Türkei und von den syrischen Kurden, also von rund 60 % aller Kurden gesprochen. Mit rund 25 % folgt der Sorani-Dialekt. Dieser Dialekt wird in den mittleren und südlichen Regionen des iranischen und irakischen Kurdistan gesprochen. Zazaki ist ein weiterer, in bestimmten Regionen Türkisch-Kurdistans gesprochener Dialekt. Weiterhin werden in den drei südlichsten Teilen Kurdistans Gorani und andere Dialekte gesprochen. Die große Mehrheit der Kurden, ca. 75 %, sind sunnitische Moslems, ca. 15 % alevitische Moslems. Die Aleviten sind mehrheitlich in den nördlichen und westlichen Gebieten Türkisch-Kurdistans sowie in der Region Chorasan im
Iran angesiedelt. Im Iran und Irak existieren des weiteren religiöse Gruppierungen wie schiitische Kurden (Feyli) sowie die den Aleviten nahestehenden Ehlihak ("die Leute Gottes"). In den verschiedenen Teilen Kurdistans, insbesondere in der Region, in der die Grenzen der Türkei, Irans, Iraks zusammentreffen und in Armenien existieren yezidisch-kurdische Gemeinschaften. Das Yezidentum war eine in früheren Zeiten unter den Kurden weit verbreitete Glaubensrichtung, ihre Wurzeln reichen bis zum Zarathustra-Glauben zurück. Des Weiteren gibt es in den mittleren Gebieten Kurdistans bei kleineren Einheiten einen Zweig des Christentums, die syrischen Christen. Kurden haben in der Geschichte dieser Region schon seit den frühen Epochen eine wichtige Rolle gespielt. In zahlreichen griechischen, römischen, arabischen sowie armenischen Quellen finden sich dazu viele Informationen. Danach haben Kurden, abgesehen von der fernen Vergangenheit, in der islamischen Epoche in der Zeit zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert mehrere wichtige Staaten wie Scheddadiden, Mervaniden und Eyyubiden gegründet: Insbesondere der Gründer des Ägyptens, Syrien und Kurdistan einschließenden Eyyubidenstaates, Sultan Salahaddin, nimmt in der Geschichte einen wichtigen Platz ein. Die aus Mittel-Asien stammenden Türken sind nach dem 11. Jahrhundert über den Iran nach Anatolien gekommen und haben zuerst den Seldschuken- und danach den Osmanen-Staat gegründet. Kurdistan war lange Zeit Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen dem osmanischen und dem
persischen Reich. Zu der Zeit haben kurdische Fürstentümer mal für die eine mal für die andere Seite Partei ergriffen und somit ihren Autonomiestatus bewahrt. Im Jahr 1638 jedoch wurde Kurdistan durch den Vertrag von Kasri Schirin zwischen diesen beiden Staaten offiziell aufgeteilt. Seitdem haben beide Staaten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die kurdischen Fürstentümer
kriegerisch bekämpft, um sie aus der Welt zu schaffen. Der Kampf der Kurden gegen diese beiden großen Staaten erhielt ab Beginn des 19. Jahrhunderts einen nationalen Charakter. Kurdische Fürsten wie Bedirchan und Yazdanschêr sowie religiöse Führer wie Scheich Ubeydullah haben für die Einheit und die Unabhängigkeit Kurdistans gekämpft, wurden jedoch besiegt.
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